Mit der Abreise aus York endete auch gleichzeitig der "Urlaubsteil" meines UK-Aufenthalts. Von der Ferienwohnung ging es jetzt wieder zurück in ein Studentenwohnheim, nur eben nicht ins Straussi 2 in Stuttgart, sondern in das Marsden House in Leeds. Dass sich diese beiden Wohnheime nur wenig ähneln, wurde mir recht schnell bewusst. Bereits vor meinem Einzug durfte ich eine Art Onlinetest absolvieren, in dem man lernte, wie man sich in gewissen Situationen (Feuer, laute Mitbewohner etc.) zu verhalten habe - alles schön erklärt mit 2D-Animationsvideos. Die Vereinbarung des Einzugstermins erfolgt beim Marsden House ebenfalls online. Den Wohnungsschlüssel konnte man sich dann einfach an der Rezeption abholen, die 24/7 geöffnet ist und sich um die Anliegen der Bewohner:innen kümmert. Generell wirkt das Marsden House noch recht neu: Es gibt schick eingerichtete Gemeinschaftsräume, ein modernes Fitnessstudio und eine so gut wie makellose Gemeinschaftsküche (was aber auch daran liegen könnte, dass die meisten englischen Studenten sehr selten richtig kochen - an anderer Stelle mehr dazu). Das einzige, was in der Küche nicht einwandfrei funktioniert, ist wie bereits in meinen letzten beiden WGs der Herd - wie sollte es auch sonst sein (hihi).
Mein Zimmer ist hell, geräumig und etwas größer als die 13m², die in der Beschreibung standen - ich beschwere mich nicht. Was mich jedoch recht schnell gestört hat, ist die Tatsache, dass man die Fenster hier nur kippen kann, sowohl im eigenen Zimmer als auch in der Küche. Zwar scheint das hier in Großbritannien so üblich zu sein, dennoch ist es recht nervig, wenn man das dreckige Zimmerfenster nicht putzen oder die Küche nach dem Kochen nicht durchlüften kann... Stattdessen wurden Lüftungen verbaut, die dann beim Kochen lautstark im Hintergrund laufen oder im eigenen Zimmer nicht nur frische Luft, sondern auch die Geräusche von außen mit hereintragen. Während ich im Stuttgarter Wohnheim das Glück hatte in einem dem Innenhof abgewandten Zimmer zu wohnen, bin ich hier mit meinem Apartment im 1. Stock mit Blick auf den Innenhof stets ganz nah an der lauten Musik dran, die hier nicht selten mal draußen die ganze Nacht durchläuft. Wenn man es dann trotz des Lärms geschafft hat einzuschlafen, wird man nachts ab und an von einem Feueralarm aus dem Schlaf gerissen. Entweder ist das Alarmsystem defekt oder in einer der Wohnheimsküchen kann der Rauch vom verbrannten Hähnchen im Backofen dank der kippbaren Fenster nicht richtig abziehen - soll auch schon in meiner WG vorgekommen sein. Jedenfalls gab es hier schon die ein oder andere weniger erholsame Nacht...
Was wiederum recht nett ist, ist das eigene Bad im Zimmer, was aber auch angesichts des Preises von 161£ pro Woche angemessen erscheint... Auf einen Monat mit 31 Tagen hochgerechnet kommt man somit auf stolze 713£, ca 830€, was im Vergleich zum Straussi 2 doch einen recht beträchtlichen Anstieg der Mietkosten darstellt. Mit den 161£ pro Woche fährt man hier aber vergleichsweise sogar noch recht billig. Je nach gewünschtem "Standard" (Ensuite, Silver, Silver Plus, Gold, Platinum usw. - was es nicht alles gibt) kann man hier bis zu 260£ pro Woche alleine für die Unterkunft loswerden. Eine genau Auflistung der Standards und Preise findet man hier. Glücklicherweise werden in diesem Semester die „Outgoings“ nach UK noch durch das Erasmus-Programm der Europäischen Union gefördert, was einem mit monatlich 450€ eine recht beachtliche Bezuschussung einbringt, auch wenn es die Mietkosten nicht ganz deckt. Ab nächstem Semester ist dank Brexit damit allerdings vorerst Schluss. In diesem Fall hatte ich mit dem Timing also echt Glück (genauso wie bei der Einreise nach England, die bis Ende September noch mit Personalausweis möglich war - den Reisepass hätte ich ansonsten deutlich zu spät beantragt, upsi...)
Generell ist das Leben in England in vielen Lebensbereichen teurer als in Deutschland, wenngleich ich mir sagen hab lassen, dass es in Nordengland noch wesentlich billiger sei als im Süden des Landes... Da hier beinahe alle Einkäufe per "contactless payment" über die Karte oder noch besser über das eigene Smartphone abgewickelt werden, macht das Bezahlen in England wesentlich mehr Spaß als in Deutschland. In dieser Hinsicht sind die Briten uns Bargeld verliebten Deutschen einige Meilen voraus. Dass man gerade eine kleine, kalte Portion Pommes mit etwas Soße und Käse für umgerechnet 4,50€ gekauft hat, tut wesentlich weniger weh, wenn das Handy nach einer erfolgreichen Transaktion diesen schönen "Ping" Ton von sich gibt.
Für das Studium nehmen die meisten einheimischen Student:innen einen Kredit beim Staat selbst auf (student finance), den sie dann später schrittweise durch Abzüge vom Gehalt zurückbezahlen. Meine Mitbewohner meinten, dass sich die meisten hierdurch während des Studiums mit ca 27.000£ verschulden. Dies gibt einem eine ganz andere Perspektive auf das Bildungssystem in Deutschland, was uns Studierenden einiges an Druck nimmt und uns die finanzielle Freiheit gibt, ein Studium auch mal abzubrechen, wenn es einem nicht liegt. Über die Unterschiede im Bildungssystem und die Leeds Beckett University generell möchte ich an anderer Stelle in einem gesonderten Artikel genauer eingehen. Hier möchte ich noch meine ersten Eindrücke von Leeds festhalten:
Wenn man direkt aus dem Urlaub aus dem bezaubernden York kommt, ist der erste Eindruck von Leeds doch recht ernüchternd. Alles ist wesentlich großstädtischer mit höheren, moderneren Gebäuden, mehr Verkehr und Baustellen. Auch die fein säuberlich aneinander gereihten Backsteinhäuser lässt die Stadt größtenteils vermissen. Man braucht deutlich länger, um sich zu orientieren, und Fahrradfahren ist erheblich stressiger, zumal man ständig aufpassen muss, nicht aus Versehen auf eine der Schnellstraßen zu fahren, die sich durch die Stadt ziehen. Zwar gibt es immer wieder gesonderte Fahrradwege, die allerdings genauso willkürlich aufhören, wie sie anfangen. Zudem herrscht hier bekanntermaßen Linksverkehr, wodurch man beim Überqueren der Straße länger überlegen muss, in welche Richtung man zuerst schauen muss, nur um dann letzten Endes doch mehrmals zu jeder Seite zu schauen, um auch ganz sicher zu sein.
Nachdem man zunächst von den ganzen Sinneseindrücken beinahe erschlagen wird, stößt man recht schnell auf viele schöne Orte in der Innenstadt von Leeds. Wenn man von den vielbefahrenen Straßen wegkommt und in eine der Arkaden geht, die von der Fußgängerzone abzweigen, findet man sich bald in architektonisch wunderschönen Gängen wieder. In der Victoria Gate Passage treffen alte Gebäude und ein modernes Glasdach aufeinander (siehe oben), das Trinity Einkaufszentrum wirkt mit seiner Glaskuppel ebenfalls spektakulär, die Corn Exchange (Bilder weiter oben) ist eine Halle mit lauter putzigen, kleinen Geschäften. Wenn man einmal eine dieser Einkaufspassagen betreten hat, kann man sich danach gut treiben lassen und von einer Passage in die nächste gelangen (man muss wirklich nur über die Straße gehen und schon ist man in der nächsten). Das Rathaus ist ein altes beeindruckendes Gebäude (fast so schön wie das Bayreuther Rathaus) und die Civic Hall mit ihren goldenen Eulen dient nicht grundlos vielen Hochzeitsfotoshootings als Hintergrund. Auch der Campus der University of Leeds (nicht zu verwechseln mit der Leeds Beckett University, an der ich studiere) hat mit seiner Mischung aus alten und neuen Gebäuden einen ganz besonderen Flair. Der City Campus der Leeds Beckett University, eine weitere von insgesamt 3 Universitäten und 6 Hochschulen in der Stadt, liegt ebenfalls direkt im Zentrum und somit in unmittelbarer Nähe zu Supermärkten, Pubs und Einkaufsmalls. Von meiner Unterkunft aus braucht man zu Fuß ca 15-20 Minuten zur Universität, mit dem Fahrrad sind es 5-7. Durch die kompakte, zentrale Lage kann man Leeds hervorragend zu Fuß erkunden und sämtliche wichtige Orte (Pubs etc.) gut erreichen. Was mir hier mit am meisten fehlt, ist ein schöner Park. Tatsächlich sind in der näheren Umgebung sämtliche Flächen zugebaut, sodass man ein ruhiges Waldstück oder einen schönen Park (es gibt den Hyde Park, der aber nicht sonderlich hübsch ist) vergeblich sucht - das aber nur als Verbesserungsvorschlag für die Zukunft :) Ansonsten gefällt mir die Stadt sehr gut und ich konnte mich schnell zurecht finden.
Fazit: Natürlich werde ich noch einiges erleben und viele Ecken der Stadt kennenlernen, die ich in den ersten Wochen noch nicht entdeckt habe. Dennoch wirkt Leeds alles in allem wie eine ziemlich coole Stadt, in der es sich für das nächste halbe Jahr definitiv gut aushalten lassen wird.